Die Solidarwerkstatt Österreich hatte im Juni 2017 eine „Lange Nacht des Friedens“ veranstaltet. Zur Bewerbung dieser Veranstaltung wurden im Stadtgebiet Linz Plakate im A3 Format auf diversen Blechkästen, Masten und Bauzäunen mit Klebstreifen angebracht. Aus diesem Grund wurde gegen den Obmann des Vereins, Norbert Bauer, vom Magistrat Linz Anzeige bei der LPD OÖ erstattet. Ebenso wurde vom Magistrat Linz eine Zivilklage gegen die Solidarwerkstatt für die Kosten der Dokumentation der Plakatierung zur Anzeigeerstattung und der, wie sich nunmehr herausstellt, rechtswidrigen Entfernung der Plakate in Höhe von € 180,- beim Bezirksgericht Linz eingebracht. Die LPD-OÖ hatte eine Verwaltungsstrafe in Höhe von € 80,- gemäß der PlakatierVO der BPD Linz vom 1. Februar 1983 verhängt. Gegen diese Strafe erhob Norbert Bauer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Das Zivilverfahren wurde bis zur Entscheidung des VfGH ausgesetzt. Der VfGH hat in Folge ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des § 1 Abs. 1 und 2 der PlakatierVO aus 1983 eingeleitet und diese am 26. September 2019 (V20/2019-18) für gesetzwidrig erklärt. Das Straferkenntnis gegen den Vorsitzenden der Solidarwerkstatt Österreich wurde am 1. Oktober 2019 (E 1890/2018-17) vom VfGH aufgehoben.
Der VfGH nimmt in Erörterung der Rechtslage Bezug auf § 48 Mediengesetz, in dem normiert ist, dass es „Zum Anschlagen, Aushängen und Auflegen eines Druckwerkes an einem öffentlichen Ort … keiner behördlichen Bewilligung (bedarf)“. Die Behörden können dieses Recht per Verordnung nur dann auf „bestimmte Plätze“ einschränken, soweit dies „zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ geboten erscheint und nimmt dabei auch Bezug auf Art. 10 der EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention). Der VfGH hält somit nicht von vorneherein eine Einschränkung der Plakatierfreiheit für unzulässig (siehe VfSlg. 10.886/1986). Eine Einschränkung muss aber unter Abwägung des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung und anderen öffentlichen Interessen erfolgen.
Zum Zeitpunkt des Erlasses der VO im Jahr 1983 gab es in Linz noch ca. 40 freie Plakatierflächen. Derzeit gibt es nur noch vier Flächen in Randlagen von Linz, an denen freies Plakatieren gemäß der rechtswidrigen VO möglich wäre. Dafür verantwortlich ist nicht die LPD-OÖ, sondern die Stadt Linz. Was der LPD-OÖ, folgt man dem VfGH, vorzuwerfen ist, ist, dass sie diese Tatsache bei neuerlichem Erlass bzw. Anwendung der VO nicht berücksichtigt hat. Auf eben diesen Sachverhalt hat sich der Beschwerdeführer, der von der Kanzlei Frischenschlager-Navarro vertreten wurde, gestützt.
Erwin Leitner, Sprecher der Initiative „mehr demokratie!“ meint dazu: „Die Bedeutung dieses Erkenntnis des VfGH reicht weit über die Stadtgrenzen von Linz hinaus. Viele Städte sind dazu übergegangen, den öffentlichen Raum nicht als Raum für die freie Entfaltung ihrer BürgerInnen zu betrachten, sondern als Raum, den es möglichst marktgerecht zu verwerten gilt. Während u.a. das freie Plakatieren weitgehend eliminiert wurde, tauchen überall Leuchtreklamen auf, die für teures Geld gemietet werden können. Die Linzer PlakatierVO ist jedoch nur eine Baustelle, mit der wir uns bei der Verteidigung unserer Demokratie auseinandersetzen müssen. Wir haben jüngst auch eine Petition in den oö. Landtag eingebracht, in der die Abschaffung der aberwitzigen Gebühren für gemeinnützige Organisationen für das Aufstellen von Plakatständern auf öffentlichen Verkehrsflächen gefordert wurde. Diese Petition wurde von der schwarz-blauen Mehrheit im Landtag mehr oder weniger mit dem schnoddrigen Argument abgeschmettert, wenn der Bürger das Amt beschäftigt, dann muss er sich das eben was kosten lassen. Das steht in schrillem Widerspruch zu den sonntäglichen Bekenntnissen zur Bedeutung zivilgesellschaftlichen Engagements. Hier ist sicherlich noch nicht das letzte Wort gesprochen.“
Thomas Diesenreiter, Kulturplattform OÖ, führt aus: „Das Kippen der Plakatierverordnung ist besonders für die vielen gemeinnützigen Kulturinitiativen ein großer Erfolg. Denn diese können sich die kommerziellen Plakatflächen de facto nicht leisten und wurden so vom öffentlichen Raum ausgeschlossen. Es ist klar, dass die Stadt Linz so wie viele andere Städte Österreichs nun gezwungen ist, ihre Plakatierpolitik neu zu denken. Wir erinnern an unseren Vorschlag, sechs neue freie Plakatflächen in der Linzer Innenstadt zu schaffen. Wir fordern, dass die Linzer Stadtpolitik nun rasch Gespräche mit den betroffenen Initiativen aufnimmt und endlich Lösungsvorschläge im Sinne der Linzer Kulturvereine vorlegt.
Boris Lechthaler, Solidarwerkstatt Österreich, äußert: „Wir haben gesagt, Martin Luther wäre, hätte er seine Thesen in Linz und nicht an der Schlosskirche zu Wittenberg angeschlagen, vor den Kadi gezerrt worden. Mit dem Erkenntnis des VfGH ist dieser vormodernen Behördenwillkür ein Schritt entgegengetreten worden. Wir sagen auch: wir sind nicht die Feinde der Stadt Linz. Natürlich sind auch wir an einer ordentlichen Verwaltung des öffentlichen Raumes interessiert. Wenn aber dann der Initiator der „Verkehrswende Jetzt!“, Gerald Oberansmayr, vom Magistrat Linz mit einer Verwaltungsstrafe von € 700,-, bzw. mit Ersatzarrest von 11 Tagen für das Aufstellen von 14 Plakatständern für eine Klimaschutzdemo bedacht wird, haben wir nicht den Eindruck, dass die hier handelnden Personen im 21. Jahrhundert angekommen sind. Das VfGH-Erkenntnis ist ein erster, wichtiger Erfolg. Weitere müssen und werden folgen.“
www.plakatierfreiheit.at