Da die Verfassungs-Konformität der Bürgermitbestimmung auf Gemeindeebene außer Frage steht, klammert sich die ÖVP Salzburg jetzt an zwei Behauptungen:
1. Minderheiten dürfen nicht Mehrheiten diktieren. ÖVP Salzburg fordert deshalb eine 30%-ige Wahlbeteiligung für einen politisch verbindlichen Volksentscheid.
Schon Ausdrücke wie diktieren oder bevormunden sind bei einem demokratischen Wahlvorgang absurd. Das entlarvt das Demokratieverständnis der ÖVP-Granden. Das Salzburger Modell sieht für einen Volksentscheid (eine für die Gemeindepolitik verpflichtende Bürgerabstimmung) sehr hohe Einstiegs-Hürden vor. Das verhindert den Missbrauch durch "Juxpartien". Es müssen vor einer Abstimmung nicht nur beglaubigte Unterstützungserklärungen in Höhe von 3 bis 4 Gemeinderats-Mandaten, das sind derzeit ca. 4.500 bis 6.000 Wahlberechtigte, vorgelegt werden, sondern auch ein realistischer Lösungsvorschlag. Wer je Unterstützungserklärungen gesammelt hat, weiß, wie schwer das ist (Salzburg hat ca. 109.000 Wahlberechtigte). Übrigens kann der Salzburger Gemeinderat schon heute "von oben" eine Bürgerabstimmung verfügen - und zwar ohne jede Wahlbeteiligungs-Hürde. Wenn's "von denen da unten" initiiert wird, will die ÖVP Salzburg plötzlich eine Mindestbeteiligung von 30%. Keine Antwort, warum sie mit zweierlei Maß misst.
Die ÖVP Salzburg tut auch so, als ob sie im Fall eines Volksentscheides untätig zusehen müsse, wie eine - nach ÖVP-Diktion "Bürgerinitiativen-Minderheit" - die Meinung der gesamten Bevölkerung manipuliert. Sie vergisst geflissentlich, dass sie und ihre Suborganisationen, ausgestattet mit Millionen an Parteien-, Klub- und sonstigen Förderungen, jederzeit ihre Meinung in die Waagschale werfen kann. Die InitiatorInnen eines Volksentscheides verfügen übrigens nicht über prall gefüllte Parteikassen (wenn sie eine echte Bürgerinitiative und nicht eine Partei-Vorfeldorganisation sind)!
Was die 30% Hürde noch bedeutet: die ÖVP Salzburg kann sich bequem zurücklehnen und braucht nur zu sagen: Geht nicht hin! Dann wird die viel zu hohe 30% Wahlbeteiligung nicht erreicht und schon ist die BürgerInnen-Abstimmung ungültig. Auf gut Deutsch: Die ÖVP Salzburg verweigert die offene, sachliche, demokratische Diskussion mit der Bürgerschaft! Sie will wie bisher alles hinter verschlossenen Türen ausmauscheln. Sie hat Angst, die Interessen von Bau-, Grundstücks- und sonstigen Lobbys nicht wie üblich - auch gegen den Willen der Bevölkerung - hinter den Kulissen durchdrücken zu können. Sie will, dass mündige BürgerInnen auch in Zukunft nur alle 5 Jahre ihr Kreuzerl machen dürfen. Sie will die Bürgerschaft weiterhin aus der Gemeindepolitik ausschließen: Eine abartige, feudale Auffassung von Demokratie, die die Wahlverweigerung und den Frust der BürgerInnen weiter steigen läßt. Kommt noch eine echte Wirtschaftskrise dazu, öffnet diese sture Haltung radikalen Bewegungen Tür und Tor. Die 1930er Jahre lassen grüßen!
2. Der derzeit diskutierte "Beharrungsbeschluss" durch den Gemeinderat führt einen Volksentscheid ad absurdum...
Auch diese Behauptung ist an den Haaren herbeigezogen. In den Verhandlungen mit der Stadt Salzburg wird diskutiert, dass der Salzburger Gemeinderat in vier Ausnahmefällen und dann auch nur mit einer 3/4 Mehrheit einen Beharrungsbeschluss fassen kann: wenn Menschen- oder Minderheitenrechte durch einen Volksentscheid verletzt oder die finanziellen Möglichkeiten der Stadt überschritten werden oder das internationale Ansehen Salzburgs nachhaltig geschädigt wird.
Tatsache ist: im Salzburger Modell sind Abstimmungen über Menschen- oder Minderheitenrechte ausgeschlossen. Kein Volksentscheid wird zugelassen, wenn die finanziellen Möglichkeiten der Stadt ignoriert werden. Deshalb muss vor einer Abstimmung ein Lösungsvorschlag vorgelegt werden, der auch die finanzielle Seite zu begründen hat. Was das internationale Ansehen betrifft, ist alles offen. Wer beurteilt, was eine Schädigung des internationalen Ansehens der Stadt ist? Das wäre ein Gummiparagraph, dem wir so nicht zustimmen werden.
Anstatt sich an den Verhandlungen konstruktiv zu beteiligen, bunkert sie die ÖVP Salzburg ein. Sie besteht darauf, dass Neuwahlen stattfinden, wenn der Gemeinderat einen Volksentscheid mit einfacher Mehrheit nicht akzeptiert (bei 30% Wahlbeteiligung!). Ein Aberwitz, wegen einer einzelnen Sachfrage (und das sind Volksentscheide) Neuwahlen zu fordern. Das ist nicht nur unverantwortliche Verschwendung von Steuergeld. Das würde die Stadt Salzburg politisch in italienische Verhältnisse stürzen!
mehr demokratie! salzburg fragt die ÖVP Salzburg:
- Warum fordert sie nicht schon längst die Annullierung der Hochschülerschafts-Wahl, weil die 30%-ige Wahlbeteiligung sowohl heuer als auch bei der letzten Wahl weit verfehlt wurde?
- Die ÖVP Salzburg wurde bei der letzten EU-Wahl 2009 gerade mal von 10.820 der Salzburgerinnen gewählt (das sind nur 10.5% der Wahlberechtigten). Woraus leitet die ÖVP Salzburg ab, Salzburg in Brüssel jahrelang und in allen Fragen "repräsentieren" zu können?
- Bei der letzten Gemeinderats-Wahl erhielt die ÖVP Salzburg magere 16.884 Stimmen (15,48% der Wahlberechtigten). Wen repräsentiert die ÖVP eigentlich noch? Ist sie nicht längst eine Minderheit, die sich anmaßt, fünf Jahre lang ALLE Entscheidungen der Stadt maßgeblich bestimmen zu können, ausgestattet mit einem Vizebürgermeister und einer Stadträtin?
- Die überwiegende Mehrheit aller SalzburgerInnen, nämlich 43%, sind gar nicht zur letzten Gemeinderats-Wahl gegangen. Das heißt, jeder Beschluss durch eine einfache Gemeinderats-Mehrheit ist der Beschluss einer Minderheit (nämlich ca. 28 % der Wahlberechtigten, klar unter der 30% ÖVP-Beteiligungs-Forderung) über eine große Mehrheit von über 70% der Wahlberechtigten. Was sagt die ÖVP Salzburg dazu?
Soweit zur Frage Minderheiten und Mehrheiten, wie sie die ÖVP Salzburg in den Raum stellt und nach Laune interpretiert! Es gäbe noch viele Fragen, die wir gestellt haben. Die ÖVP Salzburg bleibt alle Antworten schuldig. Sie wiederholt nur gebetsmühlenartig ihre längst widerlegten Scheinargumente gegen eine echte BürgerInnen-Mitbestimmung.
Der Schluss liegt auf der Hand: die ÖVP Salzburg will keine echte BürgerInnen-Mitbestimmung, keine verbindliche Direkte Demokratie zwischen den Wahlen und will die BürgerInnen aus der Gemeindepolitik ausschließen.
Wilfried Rogler, Bürgerrechtler und Mitinitiator des Salzburger Modells