I. Rechte des gesamten Volkes
§ 1
Das Land ist selbständig, soweit seine Selbständigkeit nicht durch die Verfassung des Bundesstaates beschränkt ist; es übt als selbständiges Land alle Rechte aus, die nicht ausdrücklich der Gewalt des Bundesstaates vorbehalten sind.
§ 2
Die gesetzgebende und Vollzugsgewalt des Landes steht der Gesamtheit des Vorarlberger Volkes zu; sie wird ausgeübt teils unmittelbar durch Abstimmung des Volkes, teils mittelbar durch Landtag, Landesrat und Landesregierung.
§ 3
Die Stimmberechtigten üben ihre verfassungsmäßigen Rechte aus:
a) durch Annahme oder Verwerfung der Verfassung und ihrer Abänderungen;
b) durch Begehren einer Abänderung der Verfassung;
c) durch Wahl des Landtages;
d) durch Genehmigung oder Verwerfung von Gesetzen;
e) durch Volksbegehren.
§ 4
Alle Gesetze, die nicht dringlicher Natur sind, unterliegen der Abstimmung des Volkes, wenn binnen 21 Tagen nach Erlaß des Gesetzes 10.000 Wähler, deren Stimmberechtigung beglaubigt ist, unterschriftlich die Abstimmung verlangen.
§ 5
Der Landtag ist befugt, über Aufnahme einzelner Grundsätze in ein zu erlassendes Gesetz eine Volksabstimmung ergehen zu lassen.
§ 6
Das Recht des Volksbegehrens umfaßt das Verlangen auf Erlaß oder Aufhebung oder Abänderung eines Gesetzes oder auf Abänderung einzelner Teile der Verfassung oder der ganzen Verfassung.
Derartige Begehren können in der Form der einfachen Anregung oder des ausgearbeiteten Entwurfes gestellt und in einem wie im anderen Falle begründet werden. Volksbegehren auf Aufhebung oder Abänderung eines Gesetzes können erst drei Jahre nach Inkrafttreten desselben gestellt werden.
Ein Volksbegehren muß zur Volksabstimmung gebracht werden, wenn es von mindestens 15.000 Wählern, deren Stimmenberechtigung beglaubigt ist, unterschriftlich gestellt wird.
Dem Landtage steht das Recht zu, neben den aus der Mitte des Volkes gemachten Vorschlägen gleichzeitig eigene Anträge auf Verwerfung des Vorschlages oder auf eine abgeänderte Fassung desselben zu stellen.
§ 7
Die Wahlen und die Volksabstimmungen finden allgemein, geheim und direkt mittelst Wahlurne und Wahlzelle in den politischen Gemeinden statt.
Bei allen Wahlen in irgend einen mehrgliedrigen Vertretungskörper des Landes ist die Verhältniswahl anzuwenden. Bei allen Volksabstimmungen über Erlaß oder Aufhebung oder Abänderung eines Gesetzes oder eine teilweise oder vollständige Änderung der Verfassung entscheidet die absolute Mehrheit der Stimmenden.
III. Befugnisse der vom Volke gewählten Vertretungen und Behörden
§ 15
Als oberste gesetzgebende Körperschaft des Landes erläßt und erläutert der Landtag die Gesetze, insoweit sie nicht der bundesstaatlichen Gesetzgebung vorbehalten sind, unter Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte des Volkes.
VIII. Abänderung der Verfassung
§ 45
Eine Abänderung der Verfassung kann nach § 6 der Verfassung vom Volke verlangt werden.
§ 46
Dem Landtage steht das Recht zu, bei Anwesenheit von mindestens zwei Drittel seiner Mitglieder mit zwei Drittel Stimmenmehrheit der Anwesenden eine Abänderung der Verfassung vorzunehmen. Der Antrag auf Abänderung der Verfassung muß dem Volke zur Abstimmung vorgeselegt werden, wenn mindestens ein Drittel der Landesabgeordneten es verlangt.
§ 47
Wird eine Abänderung verlangt, so ist der Antrag dem Landtage zur Beratung und Beschlußfassung zuzuweisen. Der Landtag kann die vorbereitende Beratung an einen besonderen Ausschuß oder an den Landesrat abtreten. Der Landtag muß den endgültigen Entwurf der neuen Verfassung dem Volke zur Annahme oder Verwerfung unterstellen.
§ 48
Bei einer Abstimmung über die Abänderung der Verfassung sind von den Stimmberechtigten folgende Fragen zu beantworten:
a) Soll eine Abänderung stattfinden oder nicht?
b) Soll der vom Landtag vorgelegte Antrag angenommen oder abgelehnt werden?
§ 49
Die nach den Bestimmungen der §§ 47 und 48 abgeänderte Verfassung tritt erst in Kraft, wenn sie vom Volke mit absoluter Stimmenmehrheit angenommen wurde.
Übergangsbestimmungen
§ 51
Diese Verfassung tritt durch Beschluß der provisorischen Landesverfasllung vom 14. März 1919 in Kraft. Ihre auf den Bundesstaat bezüglichen Bestimmungen gelten insolange und insoweit, als der Bundesstaat dem Lande sein Gebiet, seine Selbständigkeit innerhalb der Schranken des § 1 dieser Verfassung, die Freiheit, die Rechte des Volkes und die verfassungsmäßigen Rechte der Volksgenossen, sowie die Rechte und Befugnisse,, die das Volk seinen Vertretern übertragen hat, gewährleistet.