Kommen wird eine Behübschung des Volksbegehrens mit Online-Unterstützung und Rederecht im Nationalrats-Plenum. Genau dasselbe behübschte Volksbegehren der damaligen SPÖ-ÖVP-Regierung hatten Sebastian Kurz und HC Strache 2012/13 als ungenügend zurückgewiesen.
Nun verordnen sich ÖVP und FPÖ eine Evaluierung des Volksbegehrens, bevor sie bereit sind, eine verfassungsmäßige Umsetzung anzudenken; ganz so, als gäbe es den 50-jährigen kollektiven Erfahrungsschatz mit dem wirkungslosen Volksbegehren noch nicht.
ÖVP und FPÖ kündigen für 2022 eine Volksbefragung an, ob eine Volksabstimmung mit 900.000 Unterschriften auslösbar sein soll. Ausgangspunkt der Verhandlungen waren die Forderungen einer Unterstützungshürde von 4% (FPÖ) und von 10% (ÖVP). Rausgekommen ist nach zwei-monatigen Verhandlungen eine Addierung dieser beiden Hürden zu 14% und die zusätzliche Addierung eines Zustimmungsquorums von einem Drittel. Begleitmaßnahmen für eine Sicherstellung einer qualitätsvollen und fairen Abstimmungsdebatte hingegen fehlen.
Ein sinnvoller Stufenplan für die Einführung verbindlicher Direkter Demokratie würde ermöglichen, dass rasch wirklich Erfahrungen gesammelt werden und müsste daher mit einer niedrigen Unterschriftenhürde beginnen. Mit der astronomisch hohen Hürde von 14% wird vielmehr verhindert, dass Erfahrungen entstehen.
Mehr als 80% der FPÖ- und ÖVP-Wähler_innen wollen laut aktueller Umfrage "von unten" auslösbare Volksabstimmungen. Dieser überdeutliche Konsens ihrer eigenen Wählerschaft reicht für die neue ÖVP-FPÖ-Regierung noch nicht aus, um daraus einen klaren Auftrag für eine konkrete Umsetzung zu erkennen. Wie massiv muss die Forderung nach politischer Mitentscheidung noch werden, damit sie von einer "repräsentativ"-demokratischen Regierung ernst genommen wird?
Erwin Leitner
Diskussion auf der mehr demokratie!-Facebook-Seite
Auszug aus dem ÖVP-FPÖ-Regierungsprogramm 2017-2022
(Seite 19 und 20):
Stärkung der Demokratie
Unsere Demokratie lebt davon, dass die Bürger die Gesellschaft aktiv mitgestalten. Auf der Ebene politischer Entscheidungsprozesse sind die Möglichkeiten zur direkten Mitwirkung in Österreich schwach ausgeprägt. In unserem stark von Parteien geprägten politischen System muss direkte Demokratie in Zukunft eine größere Rolle spielen. Politische Entscheidungsprozesse müssen näher an die Wähler herangeführt werden. Politische Partizipation kann man aber nicht einseitig verordnen, sondern muss von selbst wachsen. Um mehr direkte Demokratie zu leben, muss eine neue Kultur des öffentlichen Diskurses erarbeitet werden. Der Ausbau direktdemokratischer Elemente soll daher Schritt für Schritt und gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern erfolgen.
Schritt 1: Volksbegehren weiterentwickeln
• Künftig sollen 100.000 Wahlberechtigte eine echte Gesetzesinitiative starten können. Ein Volksbegehren, das mit dieser Anzahl unterstützt wird, ist den bisherigen Einbringungsmöglichkeiten von Gesetzen (Regierungsvorlagen und Initiativanträgen) gleichwertig und folgt den gleichen parlamentarischen Spielregeln. Bürgeranträge sollen auch elektronisch unterstützt werden können
• Um zu vermeiden, dass Volksbegehren mit mehr als 100.000 Unterstützerinnen und Unterstützern im parlamentarischen Prozess versanden, werden folgende Verfahrensgarantien eingeführt:
− Behandlung der Volksbegehren in eigenen Sitzungen in Ausschuss und Plenum des Nationalrates
− Rederecht des Einbringers des Volksbegehrens im Nationalrat und damit Übertragung im Fernsehen
Schritt 2: Volksbefragung zur weiteren Stärkung der direkten Demokratie
• Gegen Ende der Gesetzgebungsperiode und nach erfolgreicher Evaluierung der Weiterentwicklung des Volksbegehrens soll im Jahr 2022 das folgende Modell zur weiteren Stärkung der Demokratie beschlossen werden. Kommt die dafür im Parlament nötig Zweidrittelmehrheit nicht zustande, so wird dazu eine Volksbefragung abgehalten:
− Wurde ein Volksbegehren in Form eines Gesetzesantrages von mehr als 900.000 Wahlberechtigten unterstützt und vom Parlament binnen einem Jahr nicht entsprechend umgesetzt, wird das Volksbegehren den Wählern in einer Volksabstimmung zur Entscheidung vorgelegt
− Vorabkontrolle durch den Verfassungsgerichtshof: Voraussetzung für die Volksabstimmung ist, dass der Verfassungsgerichtshof in einer verpflichtenden Vorabkontrolle keinen Widerspruch zu den grund-, völker- und europarechtlichen Verpflichtungen Österreichs festgestellt hat. Darüber hinaus ist die Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union und anderen internationalen Organisationen nicht vom Wirkungsbereich dieses Rechtsinstituts umfasst
− Gleichzeitig kann der Nationalrat einen Gegenvorschlag zur Abstimmung einbringen
− In der Volksabstimmung entscheidet die unbedingte Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen; die Stimmen für die Umsetzung des Volksbegehrens müssen mindestens ein Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung repräsentieren
• Sollte sich dieses Instrument bewähren, könnten die Unterstützungserfordernisse schrittweise gesenkt werden
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