die parteiunabhängige initiative für eine stärkung direkter demokratie

Democracy International

Vom Ringen um die Demokratie

Vom Ringen um die Demokratie

23.12.2019

Von Gerhard Schuster und Florian Wagner

Demokratie ist das Fundament moderner Staaten. Sie ist der große Baustein unserer sozialen Architektur. Wenn sie selbst zum Thema wird, erwartet man eine Diskussion, in der ernsthafte Vorschläge eingebracht werden, in der auf die Erwägungen der anderen argumentativ eingegangen wird und kurzfristige Strategien und Kalkül beiseite bleiben.

Dem allen steht die parteien-dominierte Realität Österreichs gegenüber und so geht die Diskussion meist nicht über einen Schlagabtausch mit mehr oder weniger gleichen Argumenten hinaus. Eine Weiterentwicklung der Demokratie in Richtung einer Ergänzung des Parlamentarismus um einen Prozess der unmittelbaren Demokratie steht – obwohl seit Jahrzehnten regelmäßig gefordert – immer noch aus.

In der neuen Legislatur dauerte es nur bis zum zweiten Sitzungstag, als das Thema Mitte November wieder im Hohen Haus gelandet war. Der FPÖ, die im Regierungsabkommen ihrer Koalition mit der ÖVP die Frage ganz ans Ende der Gesetzgebungsperiode schob, konnte es jetzt nach den vorgezogenen Neuwahlen nicht schnell genug gehen und so hat sie abermals einen entsprechenden Antrag zur Änderung des Bundesverfassungsgesetzes eingebracht.

Zum „Ausbau der direkten Demokratie“ sollen in Zukunft alle Volksbegehren mit Unterstützung von mindestens 4 % der stimmberechtigten Bürger (ca. 250.000), die vom Nationalrat nach einer Diskussion im Parlament für ein Jahr lang nicht aufgenommen wurden, in eine bindende Volksabstimmung münden.

Der Vorstoß der FPÖ ist sehr eng gefasst und versäumt, die Bedingungen zu berücksichtigen, unter denen direkt-demokratische Verfahren wirksam zu einer Verbesserung der Gestaltung unserer Rechtsgrundlagen werden können. Denn wie ein Volksgesetzgebungs-Prozess ausgestaltet ist, entscheidet darüber, ob die direkte Demokratie zu einer "Prämie für Demagogen" (Theodor Heuss) oder zu einer tragenden Säule der Verfassung des Staates wird.

Neben der Diskussion um den Schutz von Minderheiten, nahm die Frage nach der öffentlichen Meinung einen großen Stellenwert in der parlamentarischen Debatte ein. So bemerkte etwa Alma Zadić von den Grünen die Möglichkeit der manipulativen Einflussnahme durch Massenmedien auf die öffentliche Diskussion im Vorfeld einer Abstimmung.

Niki Scherak von den NEOS wies darauf hin, dass man im Rahmen der parlamentarischen Enquete-Kommission „Stärkung der Demokratie in Österreich“ vor wenigen Jahren bereits an diesem Punkt angekommen war und sich mit der Frage nach der Gestaltung von sogenannten Abstimmungsbüchlein, wie sie in der Schweiz vor Abstimmungen an alle Haushalte gesendet werden, beschäftigt hatte. Auch außerparlamentarische Initiativen, die sich für die Weiterentwicklung der Demokratie in Österreich aussprechen, sehen die Sicherstellung einer ausgewogenen und differenzierten öffentlichen Diskussion im Vorfeld einer Volksabstimmung als unbedingt notwendig an.

Statt am gemeinsamen Konsens der Parteien anzuknüpfen, haben Herbert Kickl und Susanne Fürst einen Vorstoß gemacht, dem die nötige Ernsthaftigkeit fehlt und eine Repetition von immer wieder gleichartigen und fruchtlosen Anträgen vorgelegt. Dementsprechend reagierten die Abgeordneten in der Diskussion, ohne auf stichhaltige Argumente eingehen zu müssen.

Aus der Sicht des ÖVP-Abgeordneten Friedrich Ofenauer ist direkte Demokratie bereits Alltag in Österreich. Begeistert beschreibt er die Tätigkeit in Vereinen und das Engagement von Bürger*innen in ihren Gemeinden als Möglichkeit, das unmittelbare eigene Umfeld mitzugestalten. Volksabstimmungen hält er für eine zusätzliche Belastung, die nicht nötig sei, weil die Bevölkerung ohnehin durch Wahlen das legitimiere, was durch die Repräsentant*innen beschlossen wird.

An dieser Wortmeldung sieht man, wie sich die Debatte im Kreis dreht und die über Jahre zivilgesellschaftlich aufgebrachte Expertise zum Thema ignoriert wird. Man mag anderer Meinung sein, aber dann bitte in der redlichen Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Positionen und Gedanken, die es dazu gibt!

Das Gleiche kann für Jörg Leichtfried von der SPÖ gelten, wenn er verkündet, dass sich direkte und repräsentative Demokratie nicht gegenüberstünden, sondern in einer Symbiose befänden. Diese Symbiose sieht er in den vielen Möglichkeiten der Partizipation, die es in Österreich schon gibt.

In beiden Wortmeldungen wird der Begriff der direkten Demokratie zu dem der Partizipation umgemünzt. Doch diese Art der Beteiligung bedeutet nicht, den je und je aufs Neue zu bildenden Gemeinwillen gültig festzustellen. Das kann nur eine Volksabstimmung, die aus der Mitte der Rechtsgemeinschaft mit einer Gesetzesinitiative angestoßen wird und bei der die freie und gleichberechtigte Diskussion über das Pro und Kontra gewährleistet ist.

Es wird in der Debatte nicht auf das Argument eingegangen, dass Wahlen alleine – also ohne ein ausgestaltetes Initiativ- und Abstimmungsrecht – nicht die volle demokratische Legitimation begründen können. In Wahlen legitimieren wir ein Gremium von Menschen, nach ihrem eigenen Gewissen freie Entscheidungen zu treffen. Für die konkrete einzelne Frage muss es aber darüber hinaus möglich sein, initiativ zu werden und bei genügend Unterstützung auch gültige Entscheidungen zu treffen.

Vor der Wahl versuchten die beiden österreichischen Vereine „mehr demokratie!“ und „IG-EuroVision“ mit ihrer „Initiative für komplementäre Demokratie“ diese Gedanken in die Diskussion zu bringen. Es geht darum, die Republik auf zwei demokratische Säulen zu stellen, indem die parlamentarische Gesetzgebung um einen adäquaten Prozess der Volksgesetzgebung ergänzt wird.

Die Idee der komplementären Demokratie würde dabei auch das Parlament und das freie Mandat stärken und ein freies Parlament in seinem Gegenüber zur Regierung könnte das aus tiefster Überzeugung auch wollen. Nicht aus dem Kalkül, damit Wahlen gewinnen zu können. Nicht aus Überlegungen, wie die Politikverdrossenheit zu überwinden sei. Sondern um die Demokratie weiterzuentwickeln und demokratische Souveränität zu stärken – als Grundlage einer modernen und zukunftsfähigen Gesellschaft, in der wir die großen Herausforderungen unseres Jahrhunderts meistern können. 

Das Ziel ist noch nicht erreicht. Es soll uns aber nicht ernüchtern, dass seit vielen Jahrzehnten aus allen Parteien heraus Vorschläge zur direkten Demokratie auf die Tagesordnung gesetzt werden, ohne dass letztlich etwas geschieht. Angesichts der Tatsache, dass für die Verankerung der Volksgesetzgebung in unserer Verfassung eine Zwei-Drittel-Mehrheit und danach auch eine Volksabstimmung nötig ist, ist klar, dass das Ziel nicht durch die Vorlage unausgegorener Vorschläge erreicht werden kann. Dazu bedarf es einer kontinuierlichen, ernsthaften und konstruktiven Bearbeitung dieser Fragen.

Es bleibt abzuwarten, ob eine türkis-grüne Regierung für so eine Entwicklung offen ist und sie befördern wird. Emanzipation ist kein Prozess von oben. Er muss aus der Gesellschaft selbst angestoßen und getragen sein, braucht dabei aber auch die Resonanz in den herrschenden Verhältnissen. Könnte dies nicht gerade in einer Koalition zwischen der pragmatischen Neuen ÖVP und den in ihrer Zukunftsverantwortlichkeit bestätigten Grünen möglich sein? Wir sind halbwegs zuversichtlich.

 

Initiative für komplementäre Demokratie

Parlamentskorrespondenz Nr. 1034 vom 29.10.2019

Parlamentskorrespondenz Nr. 1069 vom 13.11.2019

Parlamentskorrespondenz Nr. 1157 vom 03.12.2019

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