Ein Antrag des Abgeordneten Scheibner, der eine ähnliche Auffassung wie Mehr Demokratie Österreich vertreten hat, wurde im Verfassungsausschuss des Nationalrats mit den Stimmen der Regierungsparteien abgelehnt. Es ist daher davon auszugehen, dass am kommenden Mittwoch, 05.12.2007 im Nationalrat die Änderung des Art. 50 B-VG mit dem unveränderten vorliegenden Text beschlossen werden wird.
Fest steht, dass auch mit dem neuen Art. 50 B-VG der Nationalrat und der Bundesrat mit EU-Verträgen (wie zB. mit dem EU-Reformvertrag) befaßt werden müssen und dass dafür die Zustimmungsquoren (2/3) und die Anwesenheitsquoren (1/2) wie für Verfassungsgesetze gelten (ausdrücklicher Wortlaut des Art. 50 Abs. 4 B-VG).
Die Problematik liegt jedoch darin, dass in der Systematik des B-VG Staatsverträge und Gesetze etwas grundsätzlich Unterschiedliches sind. Gesetze fallen in die Gesetzgebung. Bei Staatsverträgen wirkt die Gesetzgebung nur an der Verwaltung/Regierungsarbeit mit. Es bestehen daher erhebliche Zweifel, ob bzw. inwieweit Bestimmungen für Verfassungsgesetze (insb. Art. 44 Abs. 3 B-VG) auch auf Staatsverträge anwendbar sind.
Das maßgebliche Auslegungsproblem liegt in der Wortfolge "unbeschadet des Art. 44 Abs. 3" des neuen Art. 50 Abs. 4 B-VG. [Art 44 Abs 3 B-VG regelt: 1. verpflichtende Volksabstimmungen bei Gesämtänderungen der Verfassung, 2. freiwillige Volksabstimmungen über sonstige Verfassungsänderungen, sofern 1/3 der Abgeordneten des NR oder BR dies verlangt]
In den Erläuterungen der Regierungsvorlage wird zu Art. 50 Abs. 4 B-VG ausdrücklich beschrieben, dass der neue Art. 50 B-VG nicht zu Gesamtänderungen der Verfassung durch EU-Verträge ermächtigt, sondern dass für eine Gesamtänderung der Verfassung zunächst ein eigenes Ermächtigungsverfassungsgesetz erforderlich ist. Dem liegt zunächst das (fragwürdige) Verständnis zugrunde, dass eine 2/3-Mehrheit beurteilen kann, ob eine Gesamtänderung vorliegt und ob daher eine obligatorische Volksabstimmung verweigert werden kann oder abzuhalten ist. Dem liegt aber vor allem auch ein Verständnis zugrunde, dass eine verpflichtende Volksabstimmung nicht direkt über einen EU-Vertrag als solchen erfolgen würde, sondern nur auf der Grundlage eines eigens zu beschließenden Ermächtigungsverfassungsgesetzes.
Zwingend ist eine solche Sicht, nur über ein Gesetz eine Volksabstimmung abhalten zu können, zwar nicht. Denkbar ist schon auch eine Interpretation des Art. 50 Abs. 4 B-VG, wonach über einen Staatsvertrag direkt (dh. ohne zuvor mit 2/3-Mehrheit ein eigenes Ermächtigungsverfassungsgesetz zu schaffen) eine Volksabstimmung abgehalten werden kann.
Über die Frage, ob 1/3 der Abgeordneten eine Volksabstimmung durchsetzen können, äußern sich die Erläuterungen der Regierungsvorlage nicht ausdrücklich. Da die Erläuterungen jedoch die Auffassung vertreten, dass über einen Staatsvertrag als solchen keine Volksabstimmung abgehalten werden kann, schließt dies folglich auch eine unmittelbare Anwendbarkeit dieses parlamentarischen Minderheitenrechts auf Staatsverträge aus.
Die Erläuterungen einer Regierungsvorlage sind zwar nicht der alleinige Maßstab für die Auslegung des neuen Art. 50 B-VG. Allerdings haben solche Erläuterungen im Wege der sogenannten "historischen Interpretation" schon ein bedeutendes Gewicht.
Das herrschende Recht ist das Recht der Herrschenden. Mehr Demokratie Österreich wird sich nach der Beschlußfassung über den missglückten neuen Art. 50 B-VG am Mittwoch, 05.12.2007 zwar für eine Volksabstimmung mithilfe 1/3 der Abgeordneten einsetzen. Mehr Demokratie Österreich geht jedoch realistischerweise davon aus, dass die plebiszitophoben österreichischen politischen Eliten namhafte RechtsexpertInnen finden werden, um – mit Bezugnahme auf die Erläuterungen des Art. 50 B-VG durch die Regierungsvorlage – unter VerfassungsexpertInnen die juristische Interpretation hegemonial zu machen, dass Art. 44 Abs. 3 B-VG nur auf Verfassungsgesetze anwendbar ist, nicht jedoch auf Staatsverträge bzw. EU-Verträge. Diese Interpretation des Art. 50 B-VG hätte dann zur Folge, dass das parlamentarische Minderheitenrecht von 1/3 der Abgeordneten, bei Verfassungsänderungen eine Volksabstimmung durchsetzen zu können, für EU-Verträge ins Leere läuft.
Neufassung des Art. 50 B-VG
(1) Der Abschluss von
1. politischen Staatsverträgen und Staatsverträgen, die gesetzändernden oder gesetzesergänzenden Inhalt haben und nicht unter Art. 16 Abs. 1 fallen, sowie
2. Staatsverträgen, durch die die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert werden, bedarf der Genehmigung des Nationalrates.
(2) Für Staatsverträge gemäß Abs. 1 Z 1 gilt darüber hinaus Folgendes:
1. Sieht ein Staatsvertrag seine vereinfachte Änderung vor, so bedarf eine solche Änderung nicht der Genehmigung nach Abs. 1, sofern sich diese der Nationalrat nicht vorbehalten hat.
2. Gemäß Abs. 1 Z 1 genehmigte Staatsverträge bedürfen der Zustimmung des Bundesrates, soweit sie Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder regeln.
3. Anlässlich der Genehmigung eines Staatsvertrages kann der Nationalrat beschließen, in welchem Umfang dieser Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist.
(3) Auf Beschlüsse des Nationalrates nach Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 Z 3 ist Art. 42 Abs. 1 bis 4 sinngemäß anzuwenden.
(4) Staatsverträge gemäß Abs. 1 Z 2 dürfen unbeschadet des Art. 44 Abs. 3 nur mit Genehmigung des Nationalrates und mit Zustimmung des Bundesrates abgeschlossen werden. Diese Beschlüsse bedürfen jeweils der Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und einer Mehrheit von zwei Dritteln
der abgegebenen Stimmen.
(5) Der Nationalrat und der Bundesrat sind von der Aufnahme von Verhandlungen über einen Staatsvertrag gemäß Abs. 1 unverzüglich zu unterrichten."
Maßgeblicher Ausschnitt aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage
"Hervorzuheben ist, dass Art. 50 Abs. 1 Z 2 iVm. Abs. 4 nicht zum Abschluss von „gesamtändernden“ Staatsverträgen ermächtigt. Durch die in Art. 50 Abs. 4 gewählte Formulierung („unbeschadet des Art. 44 Abs. 3“) soll klargestellt werden, dass der allfällige Abschluss eines – die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union ändernden – Staatsvertrages, durch den eines der leitenden Prinzipien der Verfassung geändert werden würde, eine entsprechende bundesverfassungsgesetzliche Ermächtigung voraussetzen würde, wobei diese gemäß Art. 44 Abs. 3 als „Gesamtänderung“ einer Volksabstimmung zu unterziehen wäre."