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Democracy International

Vorbild Island: Wem gehört die Demokratie?

Vorbild Island: Wem gehört die Demokratie?

28.10.2012

Gastkommentar in der Tiroler Tageszeitung vom 29. Oktober 2012

von Erwin Leitner, Vorstandsvorsitzender von mehr demokratie!

Am 20. Oktober 2012 hat Island eine stille und friedliche demokratische Revolution zu einem vorläufigen Höhepunkt gebracht. In einer Volksbefragung stimmten 66,3% der Isländerinnen und Isländer dafür, die neue, partizipativ entstandene Verfassung anzunehmen. 73,3% befürworteten weiters die Frage, ob direkt-demokratische Instrumente eingeführt werden sollten. Island hat sich aus den Turbulenzen und Abgründen des Finanzcrashs heraus zu einem leuchtenden Vorbild entwickelt, wie Demokratie „von der Bevölkerung für die Bevölkerung“ im 21. Jahrhundert gelebt werden kann und soll.

In Island zeigt sich zunächst sehr anschaulich, dass eine Finanzkrise nur gemeinsam mit der Bevölkerung bewältigt werden kann. In Volksabstimmungen hat es die isländische Bevölkerung trotz massiven Drucks von der EU am 6. März 2010 und nochmals am 9. April 2011 abgelehnt, für private Spekulationsverluste aus dem Konkurs der isländischen Bank Icesave geradestehen zu müssen. Icesave und andere Institute hatten außerhalb Islands mit traumhaften Konditionen geworben. Ihr Spekulationskapital hatte längst die Dimensionen des kleinen Landes gesprengt. Die seitherige Erholung Islands, die inzwischen allseits gelobt wird, gibt dieser Entscheidung des isländischen Souveräns recht.

 

Ganz anders verläuft die Einbindung der Bevölkerung bei der Krisenbewältigung (nicht nur) in Griechenland: Ministerpräsident Giorgos Papandreou hatte am 31. Oktober 2011 eine Volksabstimmung über Verbleib oder Austritt aus dem Euro angekündigt, musste diese Volksabstimmung jedoch auf massiven Druck der europäischen "Partner" innerhalb weniger Stunden wieder absagen und zurücktreten. Eine griechische Volksabstimmung hätte die bestehenden Finanz- und Strukturprobleme zwar auch nicht wegwischen können, hätte aber die Betroffenen mitentscheiden lassen und zu Akteuren ihrer eigenen Zukunft gemacht. Wie aber soll ein Land den Weg aus einer Krise finden können, wenn die Bevölkerung nicht einmal über ihre grundsätzlichen Weggabelungen selber entscheiden darf?

 

Aufgerüttelt durch die Finanzkrise, die Island im Strudel der Lehman-Pleite innerhalb weniger Tage von einem wohlhabenden Land in die kollektive Armutsgefährdung gestoßen hat, wurde auch die bestehende isländische Verfassung aus 1944 in Frage gestellt. Die Isländerinnen und Isländer haben einen 25-köpfigen Verfassungskonvent direkt gewählt, dessen Zusammensetzung einen Querschnitt der isländischen Bevölkerung repräsentativ widerspiegelt und der seine Entscheidungen im Konsensprinzip getroffen hat. Sämtliche Sitzungen des Verfassungskonvents konnten live im Internet mitverfolgt werden. Durch Soziale Medien wie Facebook und Twitter konnte die gesamte isländische Bevölkerung am Verfassungsprozess aktiv teilnehmen. Islands neu ausgearbeitete Verfassung wird daher als „Crowdsourcing-Verfassung“ bezeichnet, um diese breiten Gestaltungsmöglichkeiten der „gewöhnlichen“ Bevölkerung zu verdeutlichen.

 

Demgegenüber hatte in Österreich der Souverän, die Bevölkerung, bei der Entstehung der Bundesverfassung weder 1920 noch 1945 ein Wörtchen mitzureden. Die staatstragenden Parteien hatten sich die Verfassung selber gegeben und hatten dem österreichischen Souverän nur die Aufgabe zugestanden, still und brav zuzuschauen. Es überrascht daher nicht, dass in Österreichs Verfassung wirksame direkt-demokratische Instrumente fehlen, die der Bevölkerung die Möglichkeit eröffnen würden, die durch Wahlen an Parteien delegierte Entscheidungsmacht wieder an sich zu ziehen, falls sie sich durch Politikentscheidungen nicht vertreten fühlt.

 

Die neue isländische Verfassung sieht sowohl ein Veto-Referendum (gegen vom Parlament beschlossene Gesetze) als auch ein Initiativ-Referendum (nach einem erfolgreichen Volksbegehren) vor und ergänzt auf zeitgemäße Weise die Indirekte Demokratie des Parlaments und der Regierung durch Direkte Demokratie der Bevölkerung. Die isländische Bevölkerung soll sich demnach auch außerhalb von Wahlen in ihre eigenen politischen Angelegenheiten einmischen können und auf selber Augenhöhe wie die gewählten Vertreterinnen und Vertreter bindende Entscheidungen herbeiführen können.

 

Auch in Österreich schenken die Parteien angesichts der näher rückenden Nationalratswahl den konstant hohen Umfragewerten für Direkte Demokratie großes Gehör. Aber sind die Parteien wirklich willens, Direkte Demokratie „von der Bevölkerung für die Bevölkerung“ entstehen zu lassen? Zur „von oben“ angesetzten Volksbefragung über Wehrpflicht oder Berufsheer wurde bislang noch kein Konzept für einen fairen und Chancen-gerechten Diskussionsprozess vor der Abstimmung vorgelegt, um zu einer verantwortungsvollen Abwägung der maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen zu ermächtigen. Ein Abstimmungsbüchlein zur unparteiischen Information der Bürgerinnen und Bürger, Standardelement jeder guten Volksabstimmung, wird es nicht geben. Es ist zu befürchten, dass diese Auseinandersetzung in einen verunglückten Diskurs stolpert, der für viele ein eher abschreckendes Beispiel werden könnte, statt Lust nach mehr zu wecken.

 

Die Parlamentsparteien haben die Ankündigung in den Raum gestellt, noch vor der Nationalratswahl direkt-demokratische Instrumente in die Verfassung ergänzen zu wollen. Noch bestehen allerdings zahlreiche Fallstricke, an denen ein solche Einigung scheitern könnte. Themenausschlüsse, Zustimmungsvorbehalte des Parlaments zu „von unten“ inititierten Volksabstimmungen, hohe Unterstützungshürden und Beteiligungsquoren finden sich in den Direkt-Demokratie-Konzepten der meisten Parteien und würden aber die Wirksamkeit Direkter Demokratie grundlegend verwässern. Es würde sich um Direkte Demokratie „von Parteien für Parteien“ handeln, wo sich die Parteien weiterhin das letzte Wort vorbehalten.

 

Wirksame Direkte Demokratie „von unten“, die durch die Bevölkerung initiiert werden kann, fällt der Bevölkerung nicht „von oben“ in den Schoss. Das hat Island anschaulich vorgezeigt. Mit ihren Töpfen und Kochlöffeln ausgerüstet haben Isländerinnen und Isländer am Tiefpunkt der Finanzkrise den Rücktritt ihrer Regierung, die weitermachen wollte wie bisher, durchgesetzt und haben mit dieser „Küchengeschirr-Revolution“ den Beginn eines beispielhaften Entwicklungsprozesses für ihre Demokratie eingeläutet.

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